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"Stadtluft macht frei"
lautet ein altes Sprichwort. Es hat seinen Ursprung im Mittelalter,
als sich langsam Städte bildeten, in denen die Menschen freier
leben konnten als auf dem Land. Der Ursprung der Unfreiheit war
die strenge Ständeordnung des Mittelalters. Die meisten Menschen
lebten als unfreie Leibeigene ihres Herrn auf dem Land.
Die Ständeordnung
Den ersten Stand bildeten die Adligen. Den zweiten Stand bildeten
Angehörige der Kirche, der Klerus. Der dritte Stand setzte
sich aus Bauern und Arbeitern zusammen. Der größte Teil
der Angehörigen des dritten Standes war unfrei und einem Dienstherrn
unterstellt. Sie durften sich nicht frei bewegen, konnten nicht
in einen höheren Stand aufsteigen, mussten den größten
Teil dessen, was sie erwirtschafteten, an den Dienstherrn abgeben
und waren seiner Willkür ausgeliefert. Sie gehörten praktisch
ihrem Herrn vergleichbar mit Sklaven. Freie Dienstherren waren nur
Personen aus den ersten beiden Ständen. Sie besaßen Grund
und Boden.
Entstehung der Städte
In der Regel spielte sich das Leben auf dem Land ab. Zentren bildeten
dabei die Sitze der Dienstherrn, also Burgen, Klöster und Königliche
Paläste. An diese Zentren siedelten sich im Laufe des 11.und
12. Jahrhunderts immer mehr Menschen an, so dass sich kleine Städte
bildeten. Diese Menschen stammten ursprünglich aus dem dritten
Stand und hatten sich von ihrem Herrn freigekauft oder waren ihm
davongelaufen. Grund und Boden besaßen sie nicht. Sie versuchten,
sich als Handwerker oder Kaufleute ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Den Dienstherren gelang es nicht, ihre Leibeigenen in den Städten
zu suchen und wieder zurückzuholen. Daher setzte es sich durch,
dass Unfreie, die ein Jahr und einen Tag in einer Stadt lebten,
zu Freien wurden. So entstand der Spruch "Stadtluft macht frei".
"Ihm wird etwas angehängt..."
Nichts Freundliches wahrscheinlich, sagen wir, irgendeine
böse Nachrede, für einen, der sich unbeliebt gemacht hat.
So machte man's schon im 17. Jahrhundert mit den Bösewichtern,
die am Pranger auf öffentlichem Platz zu büßen hatten,
was sie an Schandtaten verbrochen hatten. Und damit auch jederman
sich überzeugen konnte, welcher Tat er sich schuldig gemacht
hatte,hängte man sie ihm schriftlich um den Hals, beschwert
mit Steinen und Gewichten, um seine Pein noch zu steigern.
"Sich einen Ast lachen..."
Zunächst ist dieser Ausdruck für jeden befremdlich:
was soll denn wohl der Ast damit zu tun haben? Ein solcher Ast,
muss man wissen, war in früheren Zeiten gleichbedeutend mit
einem Buckel. Wer sich ausschütten wollte vor Lachen, pflegte
dabei seine Schulter hochzuziehen, er krümmte sich förmlich,
ja man konnte ihm geradezu einen Ast, eben einen Buckel andichten.
"Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten..."
Herrlich urwüchsig, dieser Ausspruch! Wenn man es nicht
wüsste, käme man fast von selber auf Martin Luther als
Urheber, der dem Volk "aufs Maul schaute" und sich stets
höchst anschaulich auszudrücken pflegte. Also gemach,
nicht so gewaltsam. Ist dir an einer Sache etwas verdrießlich
und du magst sie zum alten Eisen werfen, schau dir das Ganze erst
mal in aller Ruhe an und übereile nichts. Bade erst ohne Hetze
das Kind zu Ende und dann, Baby beiseite, schütte die Schmutzbrühe
aus.
"Den Nagel auf den Kopf treffen..."
Hier ist nicht die Rede vom Kistennagel oder Bildernagel,
sondern vom Nagel, der in die Zielscheibe des Schützen einschlagen
wird, den Mittelpunkt markierend. Trifft der Schütze diesen
Nagel, so war sein Schuss ein "Schuss ins Schwarze". Vollbringen
wir im Leben kleine Meisterleistungen - ein treffendes Urteil, eine
Charakteristik voller Geist und Schärfe, einen guten Witz am
rechten Platz - lobt die Umwelt: der hat den Nagel auf den Kopf
getroffen!
"Er hat von der Sache Wind bekommen..."
Er - damit ist hier der Hase, das Reh, das Schwarzwild gemeint.
Die Tiere des Waldes besitzen eine feine, wesentlich bessere Witterung
als der Mensch. Steht der Jäger auch noch so günstig versteckt,
so ist er doch machtlos, sobald die Richtung des Windes dem Wild
den Geruch zuweht. Auf die alltägliche, menschliche Situation
übertragen, bedeutet der Ausdruck "von etwas Wind bekommen"
soviel wie ein Geheimnis sachte zugeflüstert bekommen, und
schon wird das so geschickt Verschwiegene offenbar.
"Etwas in Bausch und Bogen nehmen..."
Das heißt unbesehen etwas übernehmen, ohne es
im einzelnen zu prüfen. Die beiden B der zwei Hauptworte, eine
früher gern angewandte poetische Methode, nennt man Stabreim
oder Alliteration. Genommen wurde diese Redewendung vom Vermessungswesen:
Wenn man Grenzen absteckte, war alles, was über die Grenze
hinaus verlief, der Bausch (aufbauschen), was innerhalb der Grenze
lief, der Bogen. Bausch bedeutet also Land-Gewinn, Bogen Land-Verlust.
Akzeptiert man etwas in Bausch und Bogen, so heißt das: man
findet sich sowohl mit Gewinn als auch mit Verlust ab.
"Einen Brandbrief schreiben.."
Heute verstehen wir darunter, jemandem einen sehr dringlichen
Brief zu schreiben, sei es mahnend, sei es Hilfe erbittend. Im Mittelalter
brachten oft verheerende Brände den Menschen um Haus und Hof.
War jemand durch einen Brand um seine Habe gekommen, so konnte er
sich an seinen zuständigen Vogt wenden mit der Bitte, ihm einen
"Brandbrief" auszustellen. Dieser Brief ermächtigte
den Inhaber, andere Leute um Hilfe anzugehen, er war sozusagen ein
Erlaubnisschein zum Betteln.
"Das ist, nach Adam Riese.."
Kindern das Rechnen, Lesen und Schreiben beizubringen, erfordert
System und gute Lehrbücher. Im 16. Jahrhundert verfasste ein
Mann namens Adam Riese verschiedene Rechenbücher, die sich
als außerordentlich brauchbar erwiesen, so dass man sich ihrer
allerorts in deutschen Landen bediente. Noch heute gilt der Auspruch,
wenn jemand sich am Rechnen versucht: "Das ist, nach Adam Riese...".
"Beim Schlafittchen kriegen..."
"Halt, mein Sohn, dich werden wir schon beim Schlafittchen
kriegen, du läufst mir nicht davon!" - Man versteht, was
gemeint ist, aber was bedeutet das Wort "Schlafittchen"?
Es verbergen sich in diesen zunächst unbegreiflichen Wortgebilde:
die Schlag-Fittiche von Vögeln. Wollte man Vögel daran
hindern davonzufliegen, so beschnitt man ihnen die Fittiche, die
Flügel. Später nannte man die Rockschöße der
Herren-Jacke "Flügel". Sie waren recht dazu geeignet,
Leute die es gar zu eilig hatten, bei ihren "Fittichen"
zu packen und am Enteilen zu hindern. So "kriegte man sie am
Schlafittchen".
"Warum haben Adlige blaues Blut?"
Ein sehr weitverbreiteter Ausdruck ist, dass in den Adern
der Adligen blaues Blut fließt. Dass diese Annahme eigentlich
einen negativen historischen Hintergrund hat, ist den wenigsten
Menschen bekannt: Er kommt aus der Zeit der Renaissance des spanischen
Adels. Da sich die Adligen damals kaum körperlich bewegten,
war ihr Blut kalt und sauerstoffarm. Man konnte die Venen durch
die blasse Haut bläulich schimmern sehen - daher blaues Blut.
"Etwas auf die lange Bank schieben."
-etwas immer wieder verschieben:
Früher waren in den Sälen der Ratsherren oder Fürsten
kurze Bänke in der Mitte des Raumes aufgestellt, und an der
Seite eine lange Bank. Und diejenigen Herren, die sich bei Versammlungen
über irgendetwas nicht einig wurden, mußten sich auf
die lange Bank setzten und hatten nach Beendigung der Versammlung
solange zu bleiben, bis sie ihre Differenzen ausdiskutiert hatten.
"Schwein / Sau gehabt."
-wenn jemand Glück hat:
Bei den Mittelalterlichen Spielen bekam der jeweils Letzte eines
Turniers als Trostpreis eine Sau geschenkt, damals etwas sehr wertvolles.
Und deshalb sagt man zu jemanden, wenn er unerwartet oder unverdienterweise
Glück hat, er hat "Schwein gehabt".
"jemandem das Wasser (nicht) reichen können"
jmd. in Tüchtigkeit und Erfolg (nicht) gleich sein
Bekanntlich wurde im Mittelalter nicht mit Besteck gegessen,
sondern mit den bloßen Fingern. Um hierbei den untersten Anforderungen
der Hygiene zu entsprechen, wurde vor und nach dem Essen eine Schale
Wasser gereicht, um den Gästen das Waschen der Finger zu ermöglichen.
Freilich wurde dies nur in vornehmen Häusern so gehalten. Und
in vielen Erzählungen über ebendiese Essen bei vornehmer
Herrschaft, etwa bei Hofe, wird das so genannte "wazzer nemen"
erwähnt. Derjenige, der das Wasser den Gästen reichen
"darf", ist ein Untergebener des Hausherrn. Wenn man also
nicht einmal wert genug ist, das Wasser reichen zu dürfen,
dann ist man so weit vom Standard der Gäste entfernt, daß
"man diesen nicht das Wasser reichen kann." Diese übertragene
Bedeutung wurde vor allem auch durch das Zitat in Goethes "Faust"
bekannt: "Aber ist eine im ganzen Land, / Die meiner trauten
Gretel gleicht, / Die meiner Schwester das Wasser reicht?"
"jemandem einen Korb geben"
jmd. Heiratsantrag ablehnen, jmd. etwas ablehnen:
Dies entspricht einem alten volkstümlichen Motiv, dem Hochziehen
des Freiers in einem Korb, der aus dem Fenster der Angebeteten heruntergelassen
wurde. War der Freier unerwünscht, wurde ein Korb mit lockerem
Boden heruntergelassen. Dieser brach unter dem Gewicht des Freiers
durch. Der durch eine derart "bodenlose" Gemeinheit durchgefallene
Liebhaber war auch bei der Bevölkerung dann "unten durch".
Eine andere Variante der Abweisung bestand darin, den Korb mit dem
Freier auf halber Höhe des Hauses "hängen zu lassen".
Diese mittelalterlichen Bräuche waren im 17. Jh. bereits nicht
mehr bekannt, so daß die Wendung auch den allgemeinen Sinn
eines negativen Bescheids erhalten konnte.
"da brat mir aber einer einen Storch!"
da bin ich aber sehr erstaunt!:
Nach einer biblischen Speisevorschrift (3. Mose 11) darf der
Storch (ebenso wie die Fledermaus oder der Reiher) nicht gegessen
werden. Dies übertrug sich auf das Mittelalter, zudem der Storch
abergläubische Verehrung genoß und sein Fleisch als ungenießbar
galt. Nur scherzhaft wird der Storch daher in der Literatur der
Renaissance (ab 14. Jh.) gelegentlich als Leckerbissen genannt.
Der gebratene Storch ist somit das Sinnbild des nie Geschehenen
und unerhört Neuen.
"nach Jahr und Tag"
nach geraumer Zeit:
Diese Wendung hat ihren Ursprung in einer alten Rechtsformel,
die der Jahresfrist noch einen Tag hinzufügte. Ursprünglich
verwies die Formel auf eine Frist von einem Jahr, sechs Wochen und
drei Tagen, da das Landgericht zu Zeiten Karls des Großen
(747-814 n.Chr.) alle sechs Wochen für drei Tage tagte. Die
Einspruchszeit verjährte genau nach dieser Frist und das Urteil
war nicht mehr anfechtbar.
"jedes Wort auf die Goldwaage legen"
jedes Wort sorgfältig planen/überlegen:
Die Redensart findet sich bereits seit der Antike in der Rhetorik,
wo sie von Verro und Cicero (röm. Schriftsteller) gebraucht
wurde. Luther hat eine Bibelstelle (Sirach 21,27,28,29) mit der
Wendung übersetzt: "Du wägest dein Gold und Silber
ein; warum wägest Du nicht auch Deine Worte auf der Goldwaage?"
Diese Stelle hat entscheidend zum Eindringen der Redensart in die
Umgangssprache beigetragen, in der sie seit dem 16. Jh. oft gebraucht
wird.
"jemanden matt setzen"
jmd. ungefährlich machen / ausschalten:
"Matt" ist ein Ausdruck aus dem Schachspiel und geht
auf den persischen Ausspruch "schah mate" (der König
ist tot) zurück. Zusammen mit dem Spiel ist der Ausdruck im
12. Jh. in die romanischen Sprachen und in das Deutsche gekommen.
Seit dem 13. Jh. existieren einige Bedeutungserweiterungen, die
sich alle auf Erschöpfung des Geistes oder des Körpers
beziehen. Im visuellen Bereich wird der Mangel an Glanz als "matt"
bezeichnet.
"das Wort / der Bissen bleibt jmd. im Halse stecken"
1. verstummen vor Schreck, 2. vor Schreck nicht mehr weiteressen:
Im altgermanischen Recht gab es ein Gottesurteil, das darin
bestand, daß dem Verurteilten ein trockener Bissen in den
Mund gelegt wurde, den er schlucken mußte. Blieb der Bissen
im Hals stecken, dann war der Angeklagte schuldig. Gottesurteile
dieser Art sind bis ins 14. Jh. hinein belegt.
"das Zeitliche segnen"
sterben:
Das "Zeitliche" und die "Zeitlichkeit" sind
schon sehr alte Begriffe für die vergängliche Welt. Von
ihr nimmt der Sterbende Abschied, indem er Gottes Segen für
sich herbeiwünscht. Der letzte Wunsch eines Sterbenden wird
für sehr wirkungsvoll gehalten, und so ist der Segen, den er
ausspricht, das Beste, was er für seine Hinterbliebenen und
die Welt tun kann. Einige dafür früher verwendete Segenssprüche
sind noch erhalten, wie der folgende, der aus dem 17. Jh. überliefert
ist: "Nun sieht mich kein Mensch nimmermehr, Gott gesegn euch
alle, wo ihr seyt! Gott gesegn mit alle Wollustbarkeit! Gott gesegn
mein Herren und Gemahl! Gott gesegn euch, Berg und Tal!"
"in den sauren Apfel beißen müssen"
etwas Unangenehmes tun müssen:
Die erste Erwähnung dieser Wendung beziehungsweise dieses
Bildes findet sich bei Luther, aber man kann davon ausgehen, daß
es sich hierbei um eine wesentlich ältere Redewendung handelt.
"Katz und Maus spielen mit jemandem"
jmd. im Unklaren lassen:
Dies bezieht sich auf das Spiel der Katze mit der Maus. Die
Katze ist natürlich viel stärker, aber trotzdem läßt
sie ihr Opfer, die Maus, noch scheinbar entkommen, um sie schließlich
doch zu töten. Auch Luther verwendet eine verwandte Wendung:
"Der Katze Spiel ist der Mäuse Tod."
es ist hohe / höchste Zeit"
wir müssen uns sehr beeilen:
Die Wendung verwendet das Bild eines räumlichen Extrempunktes
(im Sinne von Gipfel), um damit eine Anhäufung"
bereits verstrichener Zeit zu versinnbildlichen. Da aber das Adjektiv
hoch" auch eine Wertung im Rang eines Vorgangs oder einer
Person ausdrückt, unterschied man im Mittelalter vier hohe
Zeiten" im Jahr: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Allerheiligen.
Erst im 15. Jh. ist der Begriff Hochzeit / Hohe Zeit"
im Sinne von Vermählung entstanden.
einer Sache ein Mäntelchen umhängen"
etwas Negatives als harmlos/einwandfrei darstellen:
Der Mantel als Symbol des Verhüllenden und Beschützenden
hat sich auch in der alten Rechtsauffassung niedergeschlagen. Nach
den Rechtsvorschriften des Sachsenspiegels konnten uneheliche Kinder
nachträglich dadurch legitimiert werden, daß sie während
der Trauung unter dem Mantel der Braut getragen wurden. Sie wurden
dadurch den ehelichen Kindern völlig gleichgestellt.
Fersengeld geben"
fliehen, davonrennen:
Fersengeld ist seit dem 13. Jh. belegt und wird gelegentlich
mit dem alten Wort Färse" in Verbindung gebracht
(Färse = junge Kuh). Der Sachsenspiegel kennt versen
penninge" als Abgabe bei der Ehescheidung. Im allgemeineren
Sinn ist die Wendung seit dem Mittelalter bekannt.
etwas nicht aus dem Boden stampfen können"
etwas nicht schaffen können:
Das feste Aufstampfen ist ein uralter magischer Brauch, der
noch heute bei magischen Ritualen üblich ist. Die dabei angeblich
bestehende Möglichkeit, Dinge herbeizaubern zu können,
hat schon in der Antike zu Redensarten wie der obigen geführt.
"das Heft in der Hand haben"
die Macht haben, die Leitung haben:
Das Heft war ursprünglich die Halterung oder der Griff
eines Gerätes. Im engeren Sinne bezeichnet es den Griff eines
Schwertes, woraus sich allgemein ein Begriff für Gewalt und
Macht im Sinne der Redensart durchsetzte. Über den Aspekt der
Halterung bildete sich im 18. Jh. die heute gebräuchlichste
Bedeutung des Wortes eine Anzahl gebundener Papierbögen aus,
die mit der Redensart nichts mehr zu tun hat.
"Moos haben"
Geld haben, reich sein:
Moos für Geld geht auf das hebräische Wort für
Münze (ma'oth) zurück. Ursprünglich wurde es nur
im Rotwelsch, einer Gaunersprache ab dem 13. Jh., verwendet. Erst
später wurde es dann in die Studentensprache übernommen.
"etwas aus dem Stegreif sprechen / vortragen / dichten"
unvorbereitet sein, etwas spontan machen:
Steg-reif, nicht "Steh-greif", ist die ältere
Bezeichnung für den Steigbügel und bedeutet eigentlich
Reif/Ring zum besteigen des Pferdes. Die Redensart bezieht sich
auf den eiligen Reiter, der schnell etwas erledigt oder zu sich
nimmt, ohne abzusteigen. Die Stegreifdichtung war seit der Antike
verbreitet und auch in der Skalden- und Spielmannsepik (Skaldenepik
= altnordische Dichtkunst) gepflegt worden. Besonders in Volksdichtung
wurden Spielformen bevorzugt, in denen der Schauspieler den Text
seiner eigenen oder der Stimmung des Publikums entsprechend variieren
konnte. Die allmählich als Verwilderung der Theatersitten empfundene
Stegreifdichtung wurde durch die Theaterreform Gottscheds im 18.
Jh. abgeschafft und in Österreich aus Gründen der Zensur
1752 sogar verboten. Die freie Improvisation als Kunstform ist seither
mehr oder weniger auf das Kasperltheater und das Kabarett beschränkt.
Auch die Stegreifrede, eine alte rhetorische Kunst, wird nicht mehr
gelehrt, sondern den mehr oder weniger ausgeprägten rhetorischen
Begabungen des Einzelnen überlassen.
"einen Zahn zulegen"
etwas schneller tun:
In den Burgküchen hingen die großen Töpfe an
gezackten, einem Sägeblatt ähnliche Eisenschienen, mit
denen man die Höhe der Töpfe über dem Feuer regulieren
konnte. Wenn man also früher einen Zahn zulegte, hieß
das, den Topf näher ans Feuer hängen, um die Speisen schneller
zu garen.
"etwas auf die Hohe Kante legen"
Geld sparen:
Die wohlhabenden Burgbewohner hatten meist ein Bett mit einem
Himmel, also einem Dach aus Stoff. Dieser Himmel sollte eigentlich
verhindern, daß herabfallendes Ungeziefer im Bett landet,
doch dieses Dach wurde auch als Ablage für die Wertsachen vor
dem Schlafengehen genutzt.
"jemanden in die Schranken weisen"
jmd. zurecht weisen:
Als Schranke wurde im Mittelalter bei Turnieren die Bahn bezeichnet,
in der ein Ritter beim Lanzengestech zu reiten hatte. Die einzelnen
Bahnen wurden durch eine Absperrung voneinander getrennt, um einen
Zusammenstoß der Pferde zu verhindern. Wenn ein Ritter in
die Schranken gewiesen wurde, so hat man ihm lediglich seine Kampfbahn
zugeteilt, die er aber unter keinen Umständen verlassen durfte.
Sobald heute jemand seine "Bahn" verläßt, d.
h. sich daneben benimmt, so wird er von anderen in die Schranken
gewiesen.
"sich verzetteln"
seine Kräfte gleichzeitig zu vielen Dingen widmen
und deshalb nicht vorankommen:
Im Althochdeutschen bedeutete zetten so viel wie ausbreiten,
verstreuen. Daraus entstand verzetteln im Sinne von nutzlos ausbreiten.
Zette(l)n war auch ein Fachwort aus der Weberei, so daß sich
das heute verwendete anzetteln erklären läßt als:
beginnen, ein Gewebe zu weben. Beide Verben haben also nichts mit
dem Zettel zu tun, den wir verwenden, um darauf Notizen zu machen.
Dieses Wort kommt vielmehr von dem mittellateinischen cedula. Es
gelangte als Zeddel Anfang des 14. Jh. ins Deutsche und ist daher
weit jünger als die Wurzel von verzetteln.
"platzen vor Neid"
außerordentlich neidisch sein:
Diese Redensart war schon in der Antike gebräuchlich und
geht zurück auf eine Fabel des Phaedrus (röm. Fabeldichter,
1. Jh. n. Chr., freigelassener Sklave), in welcher sich der eitle
Frosch mit dem Ochsen messen will. Dazu bläst er sich auf,
bis er platzt.
"jemanden auf frischer Tat ertappen"
jemanden bei einem verbotenen Tun ertappen:
Das von tun abgeleitete Substantiv Tat beschreibt alles das,
was wirklich geschieht. Tat steht damit im Gegensatz zu Wort, Wille,
Vorsatz oder Rat. Frisch bedeutet im Sinne dieser Redensart neu,
gerade erst geschehen oder in einem Bild: noch brennend, analog
zu dem lateinischen Lehnausdruck in flagranti (von flagrantia =
Glut). Die Wendung ist bereits im 12. Jh. belegt, wobei übrigens
zunächst der Ehebruch gemeint war.
"die Katze im Sack kaufen"
etwas kaufen, ohne es gesehen zu haben:
Bereits im Volksbuch Till Eulenspiegel (soll um 1300-1350 n.
Chr. gelebt haben) wird der Schwank erzählt, daß die
Katze im Sack, als angeblicher Hase, gekauft wurde. Da die Schwänke
des Till Eulenspiegel ihre Pointe meistens aus der wortwörtlichen
Befolgung von Redensarten beziehen, muß diese Wendung bereits
wesentlich älter sein.
"sich Asche auf's Haupt streuen"
etwas bereuen:
Im frühesten Altertum gab es den Brauch, sich in Trauerzeiten
die Asche der verstorbenen Verwandten auf Kopf und Gewänder
zu streuen, im so seiner Trauer entsprechenden Ausdruck zu verleihen.
Diese Tradition hat sich im heutigen Aschenkreuz erhalten, jenes
Kreuz, das der Priester in der römisch-katholischen Kirche
an Aschermittwoch austeilt. Aber schon im Buch Hiob (Altes Testament)
wird die Wendung als Ausdruck für Reue zeigen verwendet.
"von Tuten und Blasen keine Ahnung haben"
nicht das Geringste von etwas verstehen:
Tuten und Blasen waren die Hauptaufgaben des Nachtwächters,
eine der untersten Berufsgruppen im Mittelalter. Wer nicht einmal
für diese Aufgaben befähigt war, mußte besonders
dumm sein. Die Redensart ist seit dem 16. Jh. belegt, aber wohl
wesentlich älter.
"wo drückt der Schuh?"(umgangssprachlich)
welchen Kummer hast du?:
Das redensartliche Bild wird schon im Altertum gebraucht. Plutarch
(griech. Philosoph, 1. Jh. n. Chr.) erzählt in seiner Beschreibung
des Lebens von Paulus Aemilius, daß dieser von seinen Freunden
vorwurfsvoll gefragt worden sei, warum er sich von seiner schönen
und treuen Frau habe scheiden lassen. Aemilius antwortete, indem
er auf seinen neuen Schuh zeigte, mit den Worten: Auch dieser
Schuh ist schön und neu, aber niemand sieht, wo er mich drückt.
"die Fahne nach dem Wind drehen"
wankelmütig in seinen Entscheidungen sein:
Vorläufer der seit dem 16. Jh. belegten Wendung ist die
Redensart den Mantel nach dem Winde kehren. Sie taucht bereits in
der mittelalterlichen Spruchsammlung auf, die unter dem Namen Spervogels
überliefert ist (um 1200): "man sol den Mantel keren als
das weter gat." In Gottfrieds Tristan und Isolde (um 1210)
heißt es ganz ähnlich: "Man sol den mantel kehren
als die winde sint gewant."
"jemand die Hölle heiß machen"
jemand streng ermahnen, zur Arbeit anhalten, jemand zusetzen:
Die Hölle wird als Ort des Feuers beschrieben, wo Pech
und Schwefel brennen. Auch die Hitze, Flammen und die Glut sind
sprichwörtlich weit verbreitet. Schon bei Luther findet sich
der Ausdruck jemand die Hölle heiß machen, allerdings
mit einem starken theologischen Bezug. Erst Goethe verwendet dann
die Wendung in der Bedeutung von Bedrängung.
"Stein und Bein schwören"
besonders nachdrücklich schwören:
Die Wendung ist seit dem frühen 16. Jh. belegt, und zwar
bei Hans Sachs. Sie ist vielfach auf alte Rechtsbräuche zurückgeführt
worden. So soll der Stein, den man beim Schwur berührt, einem
heidnischen heiligen Stein und später dem Altarstein entsprechen,
Bein (Gebein) den Reliquien eines Heiligen. Letzteres ist seit dem
6. Jh. im Lex Allemannorum und auch im Parzival (um 1200) belegt.
Die Kombination von Stein und Bein beim Schwur hätte dann durch
die Berücksichtigung heidnischer und christlicher Schwurbräuche
eine verdoppelnde Intensivierung bedeutet. Diese Deutung ist aber
wegen des späten Erscheinens der Redewendung und durch das
Fehlen der Präposition (bei oder auf Stein und Bein schwören,
ähnlich wie in der Formel beim Barte des Propheten) umstritten.
Stein und Bein tauchen nämlich schon weit früher formelhaft
verbunden auf, etwa in der ersten Hälfte des 13. Jh. bei dem
schwäbischen Dichter Freidank: "Die Zunge hat kein Bein
/ und bricht doch Stein und Bein." Diese Wendung tadelt die
böse Zunge und geht auf ein lateinisches Vorbild zurück
(osse caret lingua, secat os tamen ipsa maligna). Stein und Bein
stammen also wahrscheinlich nicht aus dem Bereich des Rechtswesens,
sondern sind als Sinnbilder der Härte und Bruchfestigkeit allgemein
zur Verstärkung einer Aussage oder eines sprachlichen Bildes
genutzt worden.
"mit jemand deutsch reden"
jemand klar und offen die Meinung sagen:
Diese Redensart ist seit dem 15. Jh. bekannt und verwendet das
Wort deutsch noch in seiner ursprünglichen Bedeutung, nämlich
verständlich oder besser volkstümlich. Damit war zur Zeit
Karls des Großen bereits eine Abgrenzung gegenüber den
romanischen Sprachen, besonders aber gegenüber dem Lateinischen
verknüpft. Dies gilt auch für das späte Mittelalter
und die frühe Neuzeit, in der Latein als Gelehrtensprache weitergelebt
hat und dem Volk unverständlich war. Diese Abgrenzung lebt
auch in den Ausdrücken Angler- und Jägerlatein weiter.
"vor jemand den Hut ziehen"
große Achtung vor jemand haben:
Das Abnehmen des Hutes ist seit dem 13. Jh. als Grußgebärde
gelegt. Damals war es eine Rangfrage, wer vor wem den Hut zog. Heutzutage
ist es eine reine Grußformalität, die nicht mehr auf
die Rangunterschiede verweist.
"jemand gewogen sein"
jemandem Freund sein:
Die Waage ist das Sinnbild für gerechten Ausgleich und
die Unparteilichkeit. Wenn sich diese Waage, bildlich gesprochen,
auf die Seite einer Person neigt, dann bedeutet dies, daß
diese Person zusätzliche positive Aspekte in die Waagschale
werfen kann. Eine andere Deutung der Wendung geht in die Richtung,
daß man sich vorstellt, gefühlsmäßig ausgeglichen
zu sein, das heißt nicht für die eine oder die andere
Person auszuschlagen. Dieses übermittelte Bild der charakterlichen
und moralischen Bewertung ist uralt. Man kann es auch schon im Alten
Testament, in "Menetekel" finden ( Buch Daniel 5, 25
27): "Eine geheimnisvolle Hand hatte an die Wand des Palastes
des Königs Belsazar die Worte > Mene Tekel < geschrieben.
Keiner der Weisen des Königs konnte diese deuten, bis auf Daniel.
Seine Deutung war: Mene, das ist: Gott hat dein Reich gezählt
und vollendet...., Tekel, das ist: man hat dich in einer Waage gewogen
und zu leicht gefunden."
"das Gras wachsen hören"
sehr sensibel sein - gut informiert sein:
Die Redensart ist seit dem 15. Jh. nachweisbar und wird seit
einiger Zeit abschätzig auf überkluge Personen bezogen.
Der Aspekt der Weisheit und der Informiertheit taucht erst Mitte
des 17. Jh. auf.
"wie Pech und Schwefel zusammenhalten"
in einer Meinung unzertrennlich sein, zusammenhalten:
Pech und Schwefel stellen eine Verbindung dar, die besonders
lange und intensiv brennt. Vor allem in der Bibelsprache und in
mittelalterlichen Vorstellungen von der Hölle spielen die beiden
Stoffe daher eine große Rolle.
"etwas an die große Glocke hängen"
eine vertrauliche Information öffentlich verbreiten,
eine Sache aufbauschen:
Die Glocke rief im Mittelalter zu Gerichtsversammlungen. Dort
wurden private Fehden dann öffentlich ausgetragen und gelegentlich
auch aufgebauscht. Wer die große Glocke läutet, wusste
um diese Konsequenz und nahm sie in Kauf.
"etwas an den Tag bringen"
offen legen, bekannt machen, enthüllen:
Das Unbekannte wird immer mit dem im Dunkeln Liegenden verglichen
bzw. dargestellt, wo hingegen das Bekannte als das am Licht (des
Tages, der Sonne) Befindliche gesehen wird. Bekannt ist vor allem
die Variante die Sonne bringt es an den Tag, die als Kehrreim in
einem Gedicht von Adalbert von Chamisso (1781 - 1838) wiederkehrt:
Ein Meister Nikolas wird durch die Strahlen der Sonne an ein Verbrechen
erinnert, das er einst beging. Er beichtet die Tat seiner neugierigen
Frau, die das Geheimnis aber preisgibt. Das Gedicht endet mit den
Strophen: "Die Raben ziehen krächzend zumal / nach dem
Hochgericht, zu halten ihr Mahl. / Wen flechten sie auf das Rad
zur Stund? / Was hat er getan? Wie ward es kund? / Die Sonne bracht
es an den Tag." Das vermittelte Bild ist aber wesentlich älter
und schon in der Bibel (Lukas 12, 3) und anderen antiken Aussprüchen
angelegt.
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